
Entgegen der Annahme, Einsamkeit sei nur ein emotionales Problem, ist sie eine biologische Krise, die Ihr Nervensystem und Ihr Immunsystem direkt beeinträchtigt.
- Chronische Isolation stört die Hormonbalance (z.B. Cortisol) und fördert stille Entzündungen, was das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz erhöht.
- Echte soziale Interaktion wirkt als „soziale Koregulation“, die das Nervensystem beruhigt und die Stressresistenz auf biochemischer Ebene steigert.
Empfehlung: Priorisieren Sie gezielt kleine, analoge soziale „Snacks“ in Ihrem Alltag, anstatt auf seltene, große Events zu warten. Dies ist die effektivste Strategie, um Ihr biologisches Bedürfnis nach Verbindung zu erfüllen.
In einer Welt, die pausenlos vernetzt scheint, fühlen sich mehr Menschen denn je isoliert und gestresst. Sie sind nicht allein mit diesem Gefühl. Viele suchen die Lösung in mehr Effizienz, digitalem Detox oder endloser Selbstoptimierung. Wir glauben, dass wir nur disziplinierter sein oder die richtige App finden müssen, um unsere innere Ruhe wiederzufinden. Doch diese Ansätze übersehen oft den Kern des Problems: Der Mensch ist ein zutiefst soziales Wesen, und unser biologisches Betriebssystem ist für echte, physische Interaktion konzipiert.
Die gängigen Ratschläge – „treffen Sie mehr Leute“ oder „gehen Sie öfter raus“ – bleiben oft oberflächlich. Sie adressieren nicht die tiefgreifenden, biochemischen Prozesse, die unser Wohlbefinden steuern. Was wäre, wenn der Schlüssel zu mehr Resilienz und einem stärkeren Immunsystem nicht in weiterer Selbstoptimierung liegt, sondern in der bewussten Wiederentdeckung einer fast vergessenen Fähigkeit: der sozialen Koregulation? Es geht darum, soziale Begegnungen nicht als optionalen Luxus zu betrachten, sondern als eine biologische Notwendigkeit, so fundamental wie Schlaf oder Ernährung.
Dieser Artikel beleuchtet die Wissenschaft hinter diesem Phänomen. Wir werden die konkreten physiologischen Gefahren der Einsamkeit aufdecken, die Fallen der modernen Arbeits- und Lebensweise analysieren und Ihnen vor allem umsetzbare Strategien an die Hand geben, wie Sie durch authentische menschliche Verbindung Ihr Nervensystem aktiv regulieren und Ihre Widerstandskraft von innen heraus stärken können.
Der folgende Leitfaden ist so strukturiert, dass er Sie von der wissenschaftlichen Grundlage bis hin zu praktischen Alltagsstrategien führt. Jeder Abschnitt baut auf dem vorherigen auf, um Ihnen ein ganzheitliches Verständnis und konkrete Werkzeuge für mehr Wohlbefinden zu vermitteln.
Inhaltsverzeichnis: Der Weg zu mehr Resilienz durch soziale Verbindung
- Warum chronische Einsamkeit so schädlich für das Herz ist wie 15 Zigaretten am Tag
- Wie verbannen Sie das Smartphone für 2 Stunden täglich aus dem Schlafzimmer?
- Ehrenamt oder Sportverein: Was bringt mehr Sinnstiftung und neue Kontakte?
- Der Zwang zur Selbstoptimierung: Warum ständiges „Arbeiten an sich selbst“ krank macht
- Wie nutzen Sie die Mittagspause für eine Mikrokultur der Entspannung im Büro?
- Warum soziale Isolation im Alter das Gesundheitsrisiko um 30 % erhöht
- Wie bitten Sie um Hilfe, ohne sich schwach oder als Last zu fühlen?
- Wie bleiben Sie handlungsfähig, wenn im Job und Privatleben alles gleichzeitig schiefgeht?
Warum chronische Einsamkeit so schädlich für das Herz ist wie 15 Zigaretten am Tag
Diese oft zitierte Aussage ist keine Übertreibung, sondern eine wissenschaftlich fundierte Warnung. Chronische Einsamkeit ist kein reiner Gemütszustand, sondern ein gravierender Stressfaktor, der messbare körperliche Schäden verursacht. Eine umfassende Meta-Analyse von fast 150 Studien bestätigte, dass dauerhafte Isolation das Sterblichkeitsrisiko ebenso stark erhöht wie regelmäßiges Rauchen oder starkes Übergewicht. Doch was genau passiert dabei im Körper?
Das Kernproblem ist eine chronische Aktivierung der Stressachse, die zu einer Dysregulation des Hormons Cortisol führt. Bei gesunden Menschen folgt die Cortisolausschüttung einem klaren Tagesrhythmus. Bei sozial isolierten Menschen ist dieser Rhythmus gestört. Dies führt zu einem Zustand, den Mediziner als „Hypocortisolismus“ unter Stress bezeichnen können. Gerade bei Menschen mit bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist dieser Effekt fatal. Eine deutsche Studie hat gezeigt, dass depressive Herzkranke eine deutlich verminderte Ausschüttung des schützenden Stresshormons Cortisol aufweisen. Ohne ausreichend Cortisol können Entzündungsreaktionen im Körper nicht mehr effektiv gehemmt werden.
Diese stillen Entzündungen sind der eigentliche Motor hinter vielen chronischen Krankheiten. Sie schädigen die Blutgefäße, fördern Arteriosklerose und erhöhen das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Einsamkeit wirkt also nicht nur auf die Seele, sondern greift den Körper auf zellulärer Ebene an, indem sie das hormonelle Gleichgewicht und die Immunantwort sabotiert. Soziale Verbindung ist demnach keine nette Geste, sondern eine essenzielle Schutzfunktion für Ihr Herz.
Wie verbannen Sie das Smartphone für 2 Stunden täglich aus dem Schlafzimmer?
Die Erkenntnis, dass das Smartphone den Schlaf stört, ist weit verbreitet. Doch die Umsetzung scheitert oft, weil wir das Gerät als Wecker, Nachrichtenquelle und letzten sozialen Kontaktpunkt des Tages nutzen. Der Schlüssel liegt nicht in reiner Willenskraft, sondern in der Schaffung einer attraktiven, analogen Alternative – einem bewussten „digitalen Sonnenuntergang“. Es geht darum, das Gehirn sanft vom reaktiven, dopamingetriebenen Modus in einen entspannten, regenerativen Zustand zu überführen.
Beginnen Sie damit, Ihr Schlafzimmer als eine Oase der Ruhe neu zu definieren. Die visuelle Umgebung spielt eine entscheidende Rolle. Eine einladende, aufgeräumte Atmosphäre ohne blinkende Lichter und Kabelgewirr signalisiert dem Nervensystem, dass es Zeit ist, herunterzufahren.

Wie die entspannende Szene oben andeutet, geht es darum, die digitalen Gewohnheiten durch sinnliche, beruhigende Rituale zu ersetzen. Der Griff zum Buch statt zum Bildschirm, der Duft eines Kräutertees oder das Führen eines Dankbarkeitstagebuchs sind keine trivialen Handlungen. Sie sind aktive Maßnahmen zur Regulation des Nervensystems, die dem Gehirn helfen, die Produktion des Schlafhormons Melatonin zu starten. Folgende Schritte können Ihnen dabei helfen:
- Schaffen Sie ein „analoges Wind-Down-Kit“: Legen Sie ein Buch, ein Notizbuch und einen beruhigenden Tee bereit.
- Nutzen Sie einen analogen Wecker: Dies ist der wichtigste Schritt, um das Smartphone als Ausrede zu eliminieren.
- Laden Sie das Gerät bewusst außerhalb des Schlafzimmers auf: Schaffen Sie eine physische Barriere.
- Etablieren Sie alternative Abendroutinen: Ein kurzes Gespräch mit dem Partner, sanfte Dehnübungen oder das Hören ruhiger Musik können den Tag abschließen.
- Koppeln Sie das Offline-Gehen an Ihren Biorhythmus: Statt einer starren Uhrzeit können Sie das Ausschalten an ein natürliches Signal wie das Einsetzen der Dämmerung knüpfen.
Ehrenamt oder Sportverein: Was bringt mehr Sinnstiftung und neue Kontakte?
Wenn es darum geht, der sozialen Isolation zu entkommen, werden oft Ehrenamt und Sportvereine als Königsweg empfohlen. Beide bieten wertvolle Möglichkeiten, doch sie bedienen unterschiedliche menschliche Bedürfnisse nach Verbindung und Sinn. Die Entscheidung hängt stark von Ihrer Persönlichkeit und Ihrer primären Motivation ab: Suchen Sie nach einem geteilten Zweck oder einer geteilten Aktivität?
Ein Ehrenamt stiftet Verbindung primär über gemeinsame Werte und ein übergeordnetes Ziel. Hier finden Menschen zusammen, die „Gutes tun“ und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten wollen. Die soziale Dynamik ist oft intergenerationell und die Verbindungen basieren auf einem Gefühl der gemeinsamen Mission. Dies kann eine sehr tiefe Form der Sinnstiftung erzeugen, die über die reine Freizeitgestaltung hinausgeht. Die zeitliche Flexibilität ist oft höher, was es für Menschen mit unregelmäßigen Zeitplänen attraktiv macht.
Der Sportverein hingegen schafft Verbindung durch eine geteilte körperliche Aktivität, durch Teamgeist und manchmal auch durch Wettbewerb. Die soziale Dynamik ist meist auf eine ähnliche Alters- und Fitnessgruppe ausgerichtet. Die Verbindung ist körperlich-dynamisch und entsteht aus dem gemeinsamen Erleben von Anstrengung und Erfolg. Die Sinnstiftung speist sich hier aus persönlicher Leistung und dem Gefühl, Teil eines schlagkräftigen Teams zu sein. Die festen Trainingszeiten schaffen eine verlässliche soziale Routine.
Die folgende Tabelle, basierend auf Analysen von Gesundheitsportalen wie MeinMed.at, das die Bedeutung von Sport für soziale Kontakte hervorhebt, fasst die zentralen Unterschiede zusammen:
| Aspekt | Ehrenamt | Sportverein |
|---|---|---|
| Primäre Motivation | Geteilter Zweck | Geteilte Aktivität/Wettbewerb |
| Art der Verbindung | Werte-basiert | Körperlich-dynamisch |
| Sinnstiftung durch | ‚Gutes tun‘ für andere | Persönliche Leistung & Teamgeist |
| Soziale Dynamik | Intergenerational | Meist altersähnlich |
| Zeitliche Flexibilität | Oft flexibel | Feste Trainingszeiten |
Der Zwang zur Selbstoptimierung: Warum ständiges „Arbeiten an sich selbst“ krank macht
Das Streben nach Verbesserung ist ein menschlicher Urinstinkt. Doch im digitalen Zeitalter ist es zu einem unerbittlichen Zwang mutiert: die ständige Selbstoptimierung. Jeder Aspekt des Lebens – von der Produktivität über die Ernährung bis hin zum Schlaf – wird getrackt, analysiert und optimiert. Dieser Kreislauf, oft als „hedonistische Tretmühle“ beschrieben, verspricht Glück und Erfüllung, führt aber paradoxerweise oft zu chronischem Stress und Burnout.
Der Grund dafür ist wieder einmal biologisch. Das ständige Gefühl, nicht gut genug zu sein und sich permanent verbessern zu müssen, versetzt das Nervensystem in einen Dauer-Alarmzustand. Dies führt, wie Studien zur Funktion der Nebennieren zeigen, zu einer exzessiven Ausschüttung von Cortisol. Das Problem: Bei Dauerstress stumpft der Körper gegenüber dem Hormon ab. Die negativen Rückkopplungsschleifen, die den Cortisolspiegel normalerweise regulieren, versagen. Es entstehen konstant hohe Cortisolspiegel ohne den gesunden Tagesrhythmus, was zu Erschöpfung, Schlafstörungen und einem geschwächten Immunsystem führt.
Die Selbstoptimierung fördert zudem die soziale Isolation. Statt Zeit in entspannten, unperfekten sozialen Begegnungen zu verbringen, investieren wir sie in weitere Optimierungsmaßnahmen. Das „Ich“ rückt ins Zentrum, die Verbindung zum „Wir“ geht verloren. Der Fokus auf die eigene Leistung verhindert die Erfahrung der sozialen Koregulation, bei der unser Nervensystem durch die Präsenz anderer zur Ruhe kommt.

Die Lösung liegt nicht darin, jegliches Streben aufzugeben, sondern darin, Perfektionismus durch „Gut genug“ zu ersetzen und bewusste Pausen vom Optimierungswahn einzulegen. Es geht darum, Selbstmitgefühl über Selbstkritik zu stellen und zu erkennen, dass wahres Wohlbefinden oft in den ungemessenen, unperfekten Momenten menschlicher Verbindung liegt.
Wie nutzen Sie die Mittagspause für eine Mikrokultur der Entspannung im Büro?
Die Mittagspause wird oft als notwendiges Übel betrachtet: schnell etwas essen, E-Mails checken, weiterarbeiten. Dabei ist sie eine goldene Gelegenheit für einen „Reset“ des Nervensystems – vor allem, wenn sie sozial genutzt wird. Es geht darum, eine Mikrokultur zu etablieren, die auf sozialer Koregulation basiert, also der Fähigkeit unseres Nervensystems, sich durch den Kontakt mit anderen zu beruhigen. Statt isoliert vor dem Bildschirm zu essen, können kleine, gemeinsame Rituale wahre Wunder für die Stressresistenz des gesamten Teams bewirken.
Der Schlüssel liegt in der Schaffung von „sozialen Snacks“ – kurzen, niedrigschwelligen Interaktionen, die keine große Organisation erfordern. Ein „No-Work-Talk“-Mittagstisch, bei dem bewusst nicht über die Arbeit gesprochen wird, ist ein kraftvoller Anfang. Dies ermöglicht es den Gehirnen aller Beteiligten, aus dem Problemlöse-Modus in einen Verbindungs-Modus zu wechseln. Schon wenige Minuten gemeinsames Lachen oder der Austausch über private Interessen können die Cortisolspiegel senken und die Ausschüttung von Bindungshormonen wie Oxytocin anregen.
Diese Mikrokultur lebt von kleinen, aber regelmäßigen Initiativen. Ein kurzer „Awe Walk“ nach dem Essen, bei dem die Gruppe bewusst nach kleinen, staunenswerten Details in der Umgebung sucht (eine interessante Architektur, eine schöne Pflanze), kann den Fokus von internem Stress auf die äußere Welt lenken und ein Gefühl der Verbundenheit schaffen. Es sind diese geteilten positiven Momente, die das Fundament für ein resilientes und unterstützendes Arbeitsumfeld legen.
Ihr Plan für soziale Co-Regulation in der Mittagspause
- Punkte definieren: Initiieren Sie einen festen „No-Work-Talk“-Mittagstisch, an dem Gespräche über Projekte und Deadlines tabu sind.
- Rituale etablieren: Führen Sie „soziale Snacks“ ein, z.B. 5-minütige gemeinsame Dehnübungen am Nachmittag oder eine kurze Runde, in der positive Wochenenderlebnisse geteilt werden.
- Umgebung nutzen: Organisieren Sie wöchentliche „Awe Walks“, bei denen das Team gemeinsam nach kleinen, schönen oder beeindruckenden Dingen in der Büroumgebung sucht.
- Atmosphäre schaffen: Richten Sie eine kleine Tee-Ecke ein, die explizit zu kurzen, bewussten Pausen und zum Austausch abseits des Arbeitsplatzes einlädt.
- Erfolge feiern: Würdigen Sie nicht nur Arbeitserfolge, sondern auch das Gelingen dieser sozialen Rituale, um ihre Wichtigkeit im Team zu verankern.
Warum soziale Isolation im Alter das Gesundheitsrisiko um 30 % erhöht
Während Einsamkeit in jedem Alter schädlich ist, potenzieren sich ihre negativen Auswirkungen im Alter dramatisch. Ein Rückgang der sozialen Kontakte durch den Ruhestand, den Verlust von Freunden oder des Partners und eine abnehmende Mobilität schaffen einen toxischen Cocktail, der das allgemeine Gesundheitsrisiko signifikant steigert. Die oft genannte Zahl von 30 % ist dabei nur ein Durchschnittswert – für spezifische Erkrankungen ist das Risiko noch weitaus höher.
Besonders alarmierend ist der Zusammenhang zwischen Einsamkeit und kognitivem Verfall. Das Gehirn ist ein soziales Organ, das durch Interaktion, Gespräche und neue Reize stimuliert wird. Fällt dieser Input weg, verkümmern neuronale Netzwerke förmlich. Eine wegweisende, vierjährige US-Studie mit über 800 Teilnehmern brachte ein erschreckendes Ergebnis zutage: Das Risiko, an Altersdemenz zu erkranken, ist bei einsamen Menschen doppelt so hoch wie bei sozial gut integrierten Senioren. Soziale Interaktion wirkt wie ein ständiges Training für das Gehirn und baut eine sogenannte „kognitive Reserve“ auf, die den Ausbruch einer Demenz hinauszögern kann.
Darüber hinaus schwächt chronische Isolation im Alter das Immunsystem direkt. Die bereits erwähnte Cortisol-Dysregulation und die damit verbundenen stillen Entzündungen machen den Körper anfälliger für Infektionen und verlangsamen Heilungsprozesse. Ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Gebrauchtwerdens hingegen kann als Puffer gegen Stress wirken und die Ausschüttung von schützenden Hormonen fördern. Programme wie Mehrgenerationenhäuser, Nachbarschaftshilfen oder Seniorengruppen sind daher keine bloße „Beschäftigungstherapie“, sondern eine essenzielle medizinische Präventionsmaßnahme.
Wie bitten Sie um Hilfe, ohne sich schwach oder als Last zu fühlen?
In unserer leistungsorientierten Gesellschaft wird um Hilfe zu bitten oft als Zeichen von Schwäche fehlinterpretiert. Viele Menschen zögern, ihre Bedürfnisse zu äußern, aus Angst, andere zu belasten oder als inkompetent zu gelten. Dieser Trugschluss ist eine der größten Barrieren für den Aufbau stabiler sozialer Netze und verstärkt das Gefühl der Isolation. Der Schlüssel zur Überwindung dieser Hürde liegt in einem Perspektivwechsel: Eine Bitte um Hilfe ist kein einseitiger Akt der Entnahme, sondern ein zweiseitiger Akt des Vertrauens und der Verbindung.
Erstens sollten Sie Ihre Bitte klar und konkret formulieren. Vage Andeutungen wie „Mir geht es nicht gut“ sind für das Gegenüber schwer zu interpretieren. Eine spezifische Bitte wie „Ich fühle mich überfordert, könntest du mir heute Abend einfach nur eine halbe Stunde zuhören?“ ist hingegen handhabbar. Sie gibt der anderen Person eine klare Aufgabe und die Möglichkeit, erfolgreich zu helfen. Dies schafft ein positives Erlebnis für beide Seiten. Es ist entscheidend, das Bedürfnis klar zu kommunizieren, ohne sich in langen Rechtfertigungen zu verlieren.
Zweitens, machen Sie sich den „Helper’s High“-Effekt bewusst. Menschen, die anderen helfen, erfahren eine Ausschüttung von Wohlfühlhormonen wie Oxytocin und Dopamin. Helfen stärkt das Gefühl von Kompetenz und Sinnhaftigkeit. Indem Sie um Hilfe bitten, geben Sie einer anderen Person die Möglichkeit, dieses positive Gefühl zu erleben. Ihre Bitte ist also auch ein Geschenk an den Helfenden – eine Einladung, sich verbunden und wirksam zu fühlen. Dieser Gedanke kann das Gefühl, eine Last zu sein, grundlegend verändern.
Drittens können Sie explizit Reziprozität anbieten, um das Gefühl eines ungleichen Austauschs zu mildern. Eine Formulierung wie „Könntest du mir am Wochenende kurz bei der Gartenarbeit helfen? Dafür übernehme ich gerne nächste Woche einen Einkauf für dich“ verwandelt eine einseitige Bitte in einen fairen Tausch. Dies etabliert die Beziehung auf Augenhöhe und betont den gegenseitigen Charakter der Unterstützung.
Das Wichtigste in Kürze
- Echte soziale Verbindung ist keine emotionale Annehmlichkeit, sondern eine biologische Notwendigkeit zur Regulation von Stresshormonen und Entzündungsreaktionen.
- Moderne Phänomene wie der Zwang zur Selbstoptimierung und die ständige digitale Erreichbarkeit fördern chronischen Stress und sabotieren die für unsere Gesundheit essenzielle soziale Koregulation.
- Die bewusste Integration kleiner, analoger sozialer Rituale in den Alltag (z.B. in der Mittagspause) ist effektiver zur Stärkung der Resilienz als das Warten auf seltene, große soziale Events.
Wie bleiben Sie handlungsfähig, wenn im Job und Privatleben alles gleichzeitig schiefgeht?
Es gibt Phasen im Leben, in denen multiple Krisen zusammenkommen – ein Jobverlust, private Konflikte, gesundheitliche Sorgen. In solchen Momenten droht das Gefühl der Überforderung, das uns lähmen und handlungsunfähig machen kann. Der psychologische Schlüssel, um in diesem Sturm nicht unterzugehen, ist die radikale Fokussierung auf den eigenen Handlungsspielraum, so klein er auch erscheinen mag. Anstatt zu versuchen, alle Probleme gleichzeitig zu lösen, konzentrieren Sie sich auf die eine, nächste, machbare Aktion.
In einer akuten Krise reagiert der Körper mit einer massiven Stressreaktion. Die Amygdala, unser Angstzentrum im Gehirn, ist hochaktiv, während der präfrontale Kortex, zuständig für rationales Denken und Planung, heruntergefahren wird. In diesem Zustand ist es kontraproduktiv, große strategische Pläne zu schmieden. Die wichtigste Aufgabe ist die nervliche Herunterregulation. Dies kann durch einfache körperliche Anker geschehen: eine bewusste, tiefe Atmung, ein kurzer Spaziergang oder der Anruf bei einem vertrauten Menschen. Das Ziel ist nicht, das Problem zu lösen, sondern das Nervensystem aus dem „Kampf-oder-Flucht“-Modus zu holen.
Sobald eine minimale Ruhe eingekehrt ist, identifizieren Sie den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ Ihrer Handlungsfähigkeit. Was ist die eine Sache, die Sie in der nächsten Stunde tun können, die die Situation um 0,1 % verbessert? Das kann das Bezahlen einer einzigen Rechnung, das Schreiben einer einzigen Bewerbung oder das Einholen einer einzigen Information sein. Dieser Ansatz, bekannt als „Micro-Progress“, durchbricht die Lähmung und gibt Ihnen ein Gefühl der Selbstwirksamkeit zurück. Jeder kleine, abgeschlossene Schritt reduziert die gefühlte Ohnmacht und stärkt die psychische Resilienz für den nächsten.
Genau in diesen Momenten zeigt sich der wahre Wert eines stabilen sozialen Netzes. Es geht nicht darum, dass andere Ihre Probleme lösen, sondern darum, durch soziale Koregulation Ihr Nervensystem zu stabilisieren, um selbst wieder handlungsfähig zu werden. Ein Gespräch, in dem Sie einfach nur gehört werden, kann die biologische Grundlage dafür schaffen, dass Sie den nächsten kleinen Schritt gehen können.
Der erste Schritt zur Stärkung Ihrer Resilienz ist die bewusste Entscheidung, soziale Gesundheit genauso ernst zu nehmen wie körperliche Fitness. Beginnen Sie noch heute damit, kleine, authentische Verbindungen in Ihren Alltag zu integrieren.
Häufige Fragen zum Thema soziale Verbindung und Gesundheit
Was ist der ‚Helper’s High‘-Effekt?
Menschen, die anderen helfen, profitieren selbst durch die Ausschüttung von Oxytocin und erleben ein Gefühl der Kompetenz und Verbundenheit. Die Bitte um Hilfe ist also auch ein Geschenk an den Helfenden.
Wie formuliere ich eine Bitte um emotionale Unterstützung?
‚Ich durchlebe gerade eine schwierige Phase und es würde mir helfen, wenn du einfach zuhörst‘ – klare Kommunikation des Bedürfnisses ohne übermäßige Rechtfertigung ist hier der Schlüssel.
Wie schaffe ich Reziprozität beim Hilfe-Bitten?
Bieten Sie explizit einen Gegenwert an: ‚Könntest du mir bei X helfen? Ich bin dafür nächste Woche gerne für Y verfügbar.‘ Dies verwandelt eine Bitte in einen fairen Austausch und stärkt die Beziehung auf Augenhöhe.